Julius Heinrich Bissier wird am 3. Dezember in Freiburg im Breisgau geboren, wo er auch seine Kindheit und Schulzeit verbringt. Bissier beginnt noch während der Schulzeit zu malen.
Der Vater, zu Depressionen neigend und seit 1906 an Arteriosklerose erkrankt, stirbt 1907.
Kurzes Studium der Kunstgeschichte an der Universität Freiburg.
Beginnt ein Studium an der Kunstakademie Karlsruhe, das er jedoch bereits nach wenigen Monaten wieder abbricht. Ausbruch des 1. Weltkriegs, Bissier wird zum Militärdienst eingezogen.
Er leistet seinen Militärdienst auf der Freiburger Postüberwachungsstelle, unter anderem zusammen mit Martin Heidegger. Er begegnet dort auch dem Maler Hans Adolf Bühler, dessen pantheistische Welt- und Kunstauffassung den naturreligiös interessierten jungen Bissier für etliche Zeit in ihren Bann schlägt. Von da an selbständige Weiterentwicklung als Maler.
Beschäftigung mit altdeutscher Malerei (Albrecht Altdorfer, Matthias Grünewald, Hans Multscher, Konrad Witz, auch Hans Baldung-Grien und Hans Holbein) und mit der deutschen Mystik (vor allem Meister Eckhart, Jakob Böhme, Johannes Tauler, Heinrich Seuse). Bis 1922 malt Bissier Tempera-Bilder von kosmischen Urweltlandschaften und Heiligengestalten. Schon bald verspürt er allerdings das Verlangen, zu einer "žgegenwärtigen Form der Mystik" zu gelangen.
Begegnet dem bedeutenden Sinologen Ernst Grosse, der ihn in Kunst und Geistigkeit Ostasiens einführt und auch einer seiner ersten Sammler ist (er erwarb 16 Werke). Bissier bleibt bis zu dessen Tod im Jahr 1927 ihm verbunden.
Erste Einzelausstellung im Kunstverein Freiburg im Breisgau. Resultierend daraus die Begegnung mit dem Arzt Julius König und dem Psychiater Hans Prinzhorn. Beiden verdankt Bissier eine von ihm als befreiend empfundene Erweiterung seines Horizontes, Hinweise auf Literatur und aktuelles Kunstgeschehen; von Prinzhorn wird er auf den Basler Mythenforscher J.J. Bachofen aufmerksam gemacht.
Heirat mit der Handweberin Lisbeth Hofschneider. Arbeitet zum Broterwerb zeitweilig als künstlerischer Leiter einer Steingutfabrik und als Kopist nach barocker Malerei für eine Möbelfirma.
Trotz etlicher regionaler Erfolge Abkehr von seiner bisherigen Malerei. Übergang zu Stilleben, Landschaften und Portraits im nüchtern-kühlen, präzise den Dingen verpflichteten Geist der Neuen Sachlichkeit, die etwa von 1923 bis 1929 entstehen. Im Zuge dieser Entwicklung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zunehmend Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in Deutschland; wachsende nationale Anerkennung. Lehnt zu jener Zeit die moderne Kunst noch als "žformalistisch" und "žartistisch" ab.
1926 Geburt der Tochter Dorothée, 1928 des Sohnes Uli.
Es entstehen erste, zunächst noch figurative Tuschpinselzeichnungen, bald schon in großer Zahl.
Mit den der Neuen Sachlichkeit nahestehenden Bildern, die im Kontext unter anderem mit Otto Dix, Georg Schrimpf und Alexander Kanoldt gezeigt und gesehen werden, hat Bissier nun großen Erfolg. Er wird erstmals mit bedeutenden Preisen geehrt.
Sieht sich selbst in einer künstlerischen Krise; Phasen tiefer Depression, wie sie ihn überhaupt sein Leben lang begleiten. Freundschaftliche Begegnung mit Willi Baumeister, der ihn in seinem Frankfurter Atelier mit der abstrakten Kunst der Zeit bekannt macht. Bissier sieht dort Werke unter anderem von Picasso, Braque, Léger und Klee - die befreiende Erfahrung einer "žabstrakten, absoluten Malerei". Allmählicher Übergang zur nichtfigurativen Malerei; beginnt mit elementaren abstrakten Formkonstellationen zu experimentieren: zunächst in strengen, schablonenhaften Kompositionen, die ihm selbst bald steril und leblos erscheinen, daraufhin zunehmend in atmenden, frei mit dem Pinsel hin "geschriebenen" Tuschezeichen.
Leitung einer Malklasse an der Freiburger Universität, wo er für Unterricht und eigene Arbeit zwei Ateliers bezieht. Bissier unterrichtet unter anderem auch Studenten naturwissenschaftlicher Fächer im Abzeichnen von mikroskopischen Präparaten. Lisbeth Bissier beginnt mit dem Aufbau einer Textilwerkstatt.
Keine Ausstellungsmöglichkeiten.
Reise nach Paris. Besucht dort Constantin Brancusi in dessen Atelier. Der Besuch überzeugt Bissier sinnfällig von der Möglichkeit der Synthese von Abstraktion, die er bis dahin als kaltes formales Spiel empfand, und Geistigkeit; daraus resultiert der nachhaltige Impuls, den Weg einer spirituellen Abstraktion (ganz im Sinne auch von Kandinsky) zu verfolgen. Beginn der nichtfigurativen Tuschpinselarbeiten auf Papier; sie halten sich von nun an über einen Zeitraum von 35 Jahren hinweg durch bis zum Tod des Malers 1965.
Bei einem Brand eines Gebäudeflügels der Freiburger Universität werden auch die beiden Ateliers von Bissier zerstört. Es verbrennen fast sämtliche in den vergangenen Jahren geschaffenen Werke; der Brand nimmt ihm auch seine Stellung an der Universität. Wenig später stirbt sein kleiner Sohn Uli. Der Druck des Naziregimes nimmt in der Öffentlichkeit beständig zu. Auf all dies reagiert Bissier mit einem Rückzug nach innen: Innere Emigration. Von nun an exerzitienhafte Arbeit an einem kleinen Tisch zu Hause, meist nachts: in Tusche knappe Notate von Landschaften, Konstellationen einfacher Dinge.
Beginn der engen Freundschaft mit Oskar Schlemmer.
1935 und 1937 Reisen nach Italien (Mailand, Rom, Ravenna, Assisi, Toskana), unterwegs entstehen, als knappe Notate, Tuschezeichnungen von Landschaften. Beginn der Arbeit an den "žTarnbildern", kleinen Tafelbildern von Früchten, Steinen, Gefäßen; Bissier hat dabei unter anderem den Hintergedanken, sich mit solchen Werken nach außen hin als "žgegenständlicher Maler" legitimieren zu können (bis etwa 1942).
Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Lektüre Johann Jakob Bachofens, auf die er immer wieder zurückkommt, setzt eine Reihe kleinformatiger, skripturaler Tuscheblätter ein ("žSymboltuschen"). Sie thematisieren in elementarer Symbolik polar-zusammengehörige Konstellationen (zum Beispiel männlich-weiblich, Welle-Fels, Leben-Tod, beschützt-bedroht) und stehen damit ebenso in Bezug zu Mythos, Philosophie und Mystik Europas wie zu philosophischen Konzepten Ostasiens (vor allem Taoismus und Zen). Auch die späteren farbigen "žMiniaturen" beziehen in ihr freies Spiel von Formen Symbole aus den Werken Bachofens mit ein (Mohn, Cista, Lotos, Lampe). Erstmals glückt Bissier in vollem Umfang das, was ihn bei Brancusi so beeindruckt hat: die Integration von Abstraktion und Spiritualität.
Übersiedlung der Familie nach Hagnau am Bodensee. Im Gebäude der alten ehemaligen Schiffsanbinderei des Hagnauer Klosters baut Lisbeth Bissier ihre Handweberei auf, von deren Erträgen die Familie lebt. Neben der Arbeit an den Tuscheblättern besorgt Bissier die Buchführung und die Korrespondenz für die Weberei, musiziert viel, fertigt Entwürfe für Teppiche und Handwebereien und versucht sich an der Herstellung kunsthandwerklicher Produkte. Nach seinem lange währenden Kampf um die Überwindung jeglicher Form von Provinzialismus, sieht Bissier sich nun wiederum in extreme Isolation gezwungen.
Nach dem Tod von Alexander Kanoldt und Georg Schrimpf ist Bissier dank seiner früheren Bilder im Geiste der Neuen Sachlichkeit an der Berliner Akademie für ein Lehramt im Gespräch; weit entfernt von einer künstlerischen "žRückbesinnung" winkt er jedoch ab.
Versuche mit der Herstellung von Keramikgefäßen; arbeitet gelegentlich in der Werkstatt des Meistertöpfers Richard Bampi in Kandern.
Tod des Freundes Oskar Schlemmer. Bissier notiert in sein Tagebuch:
Die künstlerische Produktion kommt in den Wirren des Kriegsendes (Quartiernahme durch Besatzungstruppen in Hagnau, Belegung des Ateliers etc.) beinahe zum Erliegen. Auch in der Folgezeit sieht er sich in seiner Hoffnung auf Verbesserung seiner Situation als Künstler zunächst getrogen: aufgrund seiner Zurückgezogenheit während der Zeit der NS Diktatur niemals offiziell "žverfemt", ging jetzt auch die kulturelle Rekonstruktion an ihm vorbei.
Die Tuschearbeiten entstehen weiter bis 1949, um dann für einige Jahre ganz in den Hintergrund zu treten. An ihre Stelle tritt vorübergehend die Arbeit an Holzschnitten sowie, vorbereitet durch Experimente mit Farbe seit 1943, an farbigen Monotypien und versuchsweise auch Aquarellen, mit denen Bissier versucht, behutsam die Farbe wieder in seine Arbeit einzubeziehen, ohne die in den Tuscheblättern erreichte spirituelle Konzentration aufzugeben. In jenen Jahren, in denen es auch zu gelegentlichen Begegnungen mit Max Bill kommt, Auseinandersetzung mit der Geometrie.
Beginn der farbigen "žMiniaturen" in Eiöltempera auf unregelmäßig geschnittenen oder gerissenen Leinwand- oder Baumwollstücken beziehungsweise Aquarell auf Papier. Es sind lyrische Arbeiten, in denen die Zeichenkonstellationen der früheren Tuschen aufgehoben sind; diese Arbeiten begründen Bissiers nun so spät wie heftig einsetzenden Ruhm. 1956 erster Ferienaufenthalt im Tessin.
Ausstellung im Kunstverein Freiburg im Breisgau, zusammen mit Max Bill und Georges Vantongerloo.
Übergang zu geometrisierenden, in Eiöltemperatechnik gemalten Tafelbildern verschiedenen Formats - ein Weg, den Bissier dann aber nicht weiter verfolgt.
Aufenthalt in Tourettes-sur-Loup (Südfrankreich). Seit Herbst dieses Jahres alljährlicher Aufenthalt im Tessin (Ronco bei Ascona). Freundschaft mit dem bei Locarno lebenden Hans Arp.
Freundschaft mit Werner Schmalenbach. Erste große Retrospektiv-Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft Hannover, die anschließend noch in einer Reihe deutscher Museen (Duisburg, Hagen, Bremen, Ulm) gezeigt wird. Teilnahme an der XXIX. Biennale Venedig. Jäh einsetzender internationaler Ruhm - man sieht Bissiers Werk vorrangig im Kontext des Informel. Dem Maler fällt es nicht leicht, den geradezu explosionsartigen Erfolg zu verkraften.
Cornelius-Preis der Stadt Düsseldorf. Teilnahme an der documenta II in Kassel. Freundschaft mit dem in jenen Jahren im Tessin lebenden Ben Nicholson.
Retrospektiv-Ausstellung im Gemeente-Museum Den Haag.
Sonderausstellung an der XXX. Biennale Venedig. Kunstpreis der Stadt Berlin. Erste Ausstellungen in Paris und London.
Sonderausstellung im Rahmen der VI. Biennale Sao Paulo. Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Ehrenmitglied der Kunstakademie Nürnberg. Erste Ausstellung in der Lefebre Gallery, New York. Retrospektiven in Brüssel und Jerusalem.
Übersiedlung von Hagnau nach Ascona in die "žCasa Rondine", nahe dem Lago Maggiore. Die Landschaft, das Klima, die Farben und das Licht des Tessin wirken belebend und stimulierend auf Bissier. Er fotografiert, spielt selbst und hört Musik, empfängt gern Besuch von Freunden, liest viel.
Freundschaft mit dem seit 1960 in Basel lebenden Mark Tobey.
Retrospektive im Kunstverein Hamburg (in der Folge in Ulm, Stuttgart, Wuppertal, Mannheim, Freiburg gezeigt). Preis der belgischen Kunstkritik. Einzelausstellungen in Rio de Janeiro, Buffalo/N.Y., New York, Basel und München.
Umfassende Retrospektiv-Ausstellung im Institute of Contemporary Art Boston, die anschließend in Chicago, Detroit, Utica/N.Y. und Los Angeles gezeigt wird. Ausstellung in der Galerie Beyeler, Basel, zusammen mit Hans Arp, Ben Nicholson und Mark Tobey.
Teilnahme an der documenta III in Kassel. Großer Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Ausstellung unter anderem in der Galerie La Medusa, Rom.
Retrospektive Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh. Weitere Einzelausstellungen (New York, Texas, Campione, Kopenhagen).
Am 18. Juni stirbt Julius Bissier in Ascona.
(Biografie in leicht gekürzter Fassung aus: Matthias Bärmann (Hrsg.), Julius Bissier - Obras 1934-1965 - Tintas, Acuarelas, Témperas, Katalog der Ausstellung, Valencia / Madrid 1997)